Manche Dinge muss man Aussitzen
– 10 Tage im Vipassana-Meditationszentrum –
“So, kann losgehen, im Schneidersitz auf meinem Meditationskissen, Augen zu. Jetzt einfach auf den Atem konzentrieren. Autsch. Ne, so geht das nicht, mein Knie brennt. Ein Stück auf dem Kissen vorrutschen. Ja, besser. Augen wieder zu, weiter geht’s. Ne, jetzt tut es neben dem Knie auch noch am Knöchel weh. Gut, dann pack ich mir jetzt ein Tuch unter den dämlichen Fuß. Ah, perfekt, viel weicher. Jetzt aber. Augen zu und ganz entspannt auf den Atem konzentrieren. Geil, ich hab schon 10 Sekunden. Ah, verdammt, ich will mich ja auf den Atem, nicht auf die Zeit konzentrieren. OK, nochmal von vorn. Ja, ich spüre den Atem in meinen Nasenlöchern, ein, aus, ein, aus, ein, aaaaaautsch. Mein Rücken krampft. Oh nein, was kann ich da jetzt machen? Kurz mal den Rücken runden, dann wieder in die aufrechte Sitzposition. Konzentrier Dich, Danie! Ein, aus, ein. Niemals, der Rücken bringt mich um. Wie spät ist es? 4:45! Ich habe erst 15 Minuten von 12 Stunden Meditation heute. Und es ist Tag 2 von 10. Ich dreh durch.”
Danie am Morgen von Tag 2 des 10-tägigen Vipassana-Kurses
Zwei Tage nach Danies erstem Meditationstief war sie da: Eine fein abgestimmte Mischung aus Angst und Verzweiflung! Folgendes wurde uns an Tag 4 offenbart: Von nun an sollten wir 3x täglich jeweils eine Stunde in genau der Position verharren, für die wir uns in der ersten Minute entschieden hatten (“Stunden starker Entschlossenheit”). Weder Schmerzen noch eine juckende Nasen sollten uns aus der Ruhe, oder besser aus unserer Position bringen. Noch bevor wir es das erste Mal durchlebten, trieb uns die Aussicht darauf bereits den Schweiß auf die Stirn (den wir uns in eben jenen Stunden ja nicht mal wegwischen konnten). Geradezu reflexartig schoss jedem von uns beiden die Frage in den Kopf, was uns wohl getrieben hatte, hierher zu kommen?
Tatsächlich hatte ein Professor von Danie ihr Interesse an einem solchen Kurs bereits vor über 10 Jahren geweckt, und später auch Ralf neugierig gemacht. Unserem Verständnis nach ging es darum, sich 10 Tage der Normalität zu entziehen um zu schweigen. Die Stille würde zwangsläufig zu einer Auseinandersetzung mit den eigenen Gedanken, Ängsten oder Problemen führen. Rückblickend erscheint diese Ansicht reichlich unbedarft, was sich allerdings als hilfreich erwies. Somit gingen wir furchtlos in dieses Abenteuer, das wir als eines der härtesten unseres Lebens wahrgenommen haben. Erst bei unserer Registrierung für den Kurs erfuhren wir übrigens, worin das Ziel des Kurses bestand: Das Erlernen der Vipassana-Meditationstechnik. Meditation war zwar für uns beide spannend, aber gleich über 100 Stunden Meditation in nur 10 Tagen erschien uns ziemlich brutal.

Einmal im Kurs angekommen, wurden uns schnell einige Dinge klar:
- Über 100 Stunden in nur 10 Tagen auf dem Boden sitzend meditieren ist brutal.
- Das Schweigen war nur Mittel zum Zweck, denn ohne die gesprochenen Worte ebbten auch die gedachten im Kopf ab. Das ließ mehr Raum und Kapazität für Konzentration.
- Konzentration war bitter nötig. Denn Vipassana-Meditation ist wortwörtlich schweißtreibende (mentale) Arbeit, fernab von “Seele baumeln lassen” oder “einfach mal den Kopf frei bekommen”.
- Der mit (Geistes-)Übungen prall gefüllte Stundenplan verlangte strenge gedankliche Disziplin bei der keine Zeit blieb, den eigenen Gedanken nachzuhängen. Doch die eigenen Schwächen, Ansprüche, Überzeugungen schlugen auf eine Art zurück, wie wir sie nicht kommen sahen… und trafen uns umso härter.
“Mein Plan, mich bei genügend Zeit und mentaler Kapazität mit meinen Schwächen auseinanderzusetzen, ging nicht ganz auf. Neben 12 Stunden Meditation blieb nämlich keine Zeit dafür. Spannenderweise haben sich unserer Schwächen auch so gezeigt. Und zwar viel direkter, nämlich als das, was sie sind.”
Danie, Tag 10 des Vipassana-Kurses
Für Danie bedeutete das, nicht wie gedacht stundenlang zu ergründen, wo ihre Ungeduld herkam und wie sie ihr am besten begegnet. Nein, die Ungeduld höchstpersönlich trieb sie schon am eingangs erwähnten zweiten Tag in die Verzweiflung. An Tag 7 zeigte sich dann ihr Verlangen nach Abwechslung, als sie sich nicht die fünfte Stunde in Folge auf ihre Körperempfindungen konzentrieren wollte und sich einfach danach sehnte, wieder etwas anderes zu machen. Wie Brandbeschleuniger entzündete die ”Langeweile” ein Feuer, das ihren ganzen Körper ergriff; und unsere “missliche” Lage ließ ihr keine andere Wahl, als sitzend zu spüren, wie dieses Gefühl ihr nach und nach den Nerv raubte. Die gleiche Verzweiflung, jedoch mit völlig anderem Auslöser, machte Ralf an Tag 6 zu schaffen. Bis dahin, wie immer getrieben von Ehrgeiz und Disziplin, war es ihm vergönnt gewesen, auf einer “Erfolgswelle” durch die Tage zu reiten und in allen Übungen das zu spüren, was der Lehrer beschrieben hatte. Dann traten jedoch die ersten Probleme auf und anstatt feiner Empfindungen auf der Haut war da entweder Totenstille oder blanker Schmerz. Verkrampft und leicht panisch suchte er in seinem Körper nach den vom Lehrer beschriebenen Vibrationen, verkrampfte noch mehr, und fühlte anschließend noch weniger. Wie ein Kartenhaus stürzte die Überzeugung zur Methode und zum eigenen Können, gebaut auf wackeligem Fundament aus Perfektionsstreben und Ehrgeiz, in sich zusammen. Zurück blieben Zweifel und Unmut.
“Ich lebe den Traum meines Lebens mit dem Mann meiner Träume. Ich könnte mir keinen glücklicheren Geisteszustand vorstellen.”
Danie, Tag 3 des Kurses
Zum Glück hatten wir ausreichend Zeit, unsere Tiefs schlichtweg auszusitzen. Und so sehr uns diese Erfahrungen auch runterzogen, mussten wir bereits wenig später über uns lachen. Unzählige Male hatte der Lehrer darauf hingewiesen, dass der eigentliche Sinn unserer Übungen darin bestand, die Ruhe und Entspanntheit des Geistes zu trainieren und uns nicht mit unseren Empfindungen zu identifizieren. Mit unserer Art, die Verzweiflung voll auszukosten, hatten wir dieses Ziel fabelhaft verfehlt. Diese Miseren halfen uns jedoch, ein besseres Verständnis für die Vipassana-Methodik zu entwickeln.
Als wir uns am 10. Tag endlich wiedersahen, waren die Wunden noch frisch und selbst 11 Stunden Reisezeit am Folgetag reichten nicht, um alles aufzuarbeiten. Doch wir waren bereits versöhnt. Nicht nur mit dem Kurs und der Methode, sondern auch mit uns. Diese knallharten Tage hatten uns verdeutlicht, dass wir sehr zufrieden sind… mit uns, mit uns auf Reisen, und mit uns in unserem Leben. Und als Lackmustest für unsere Gewohnheiten attestierte uns der Kurs, dass wir zwar Marotten aber keine erdrückenden Laster oder Süchte haben. Beispielsweise bemerkten wir erst am Abreisetag bei der Smartphone Rückgabe richtig, dass wir die Dinger in den letzten zehn Tagen nie vermisst hatten. Noch am selben Tag gab es ein großes Wiedersehen mit Danies längster Schulfreundin und ihrer Familie, wovor wir im Vorfeld etwas Respekt hatten. Doch wie auch schon für die Zeit des Kurses überschätzten wir die Auswirkungen des Schweigens auf unser Gemüt und die Rückkehr in die “normale” Welt stellte uns vor keine größeren Probleme… abgesehen von unserer wiederentdeckten Smartphonophilie. Die kleinen roten Zahlen an den App-Symbolen auf unseren Displays erinnerten uns beständig und über mehrere Tage daran, die insgesamt 389 ungelesenen Nachrichten zu beantworten.
“Ich bin froh, dass Goenka kein Yogi mit Kutte und Zauselbart war, sondern mit beiden Füßen fest auf dem Boden der Realität zu stehen schien. Das hat mir den Zugang zu Vipassana stark erleichtert. Dann noch zu erleben und auch von Goenka zu hören, dass Vipassana nicht dazu anleitet, als Einsiedler zu leben, sondern zur aktiven Anteilnahme an Mitmenschen und Gesellschaft auffordert, war regelrecht befreiend.”
Ralf, am Tag nach dem Vipassana-Kurs
Wie es nun weitergeht mit uns und dem Meditieren ist da schon schwieriger zu beantworten. Zwar ist der mentale Abdruck des Kurses tief, aber keinesfalls gefestigt. Und die “Feinde des Meditierens” (Müdigkeit, Zweifel an der Methode und an sich selbst, Ungeduld und Perfektionismus, etc.) lauern natürlich vor allem im Alltag. Die Zeit und unsere Erkenntnisse werden wohl darüber entscheiden, wie oft wir uns in die Stille zurückziehen. Apropos “in die Stille zurückziehen”: obwohl man während des Meditierens hoffentlich weit in die Tiefen der eigenen Empfindungen herabsinkt, vermittelt Vipassana keineswegs ein Konzept von Rückzug. Das ehrliche Interesse an und die offene Hinwendung zu seinen Mitmenschen, die uns gelehrt aber auch vorgelebt wurden, erzeugten für uns die erfrischende Gewissheit, Vipassana nicht als Ausstieg aus sondern als Einstieg in die Gesellschaft zu verstehen. Fest steht für uns, dass wir die “Gefängnismauern” ein weiteres Mal, sicherlich woanders auf dieser Welt, betreten wollen, um 10 Tage als Freiwilligenhelfer, nicht als Studenten, teilzunehmen. Vipassana-Zentren nehmen keinerlei Bezahlung für den Kurs. Stattdessen finanzieren sie sich über Spenden und Freiwilligenarbeit ehemaliger Studenten.
Unsere finanzielle Spende unterstützte übrigens ein treuer Freund, dem es am Herzen lag, uns auf unserer Reise etwas Besonderes zu ermöglichen: Vincenzo Antenna, wohl einem der weisesten Menschen, denen wir bisher begegneten. Vielen Dank, Vince!
- Unser Versuch, Vipassana als Methode einfach abzubilden.
- Die Dhamma-Meditationshalle von außen ...
- ... von innen.
- Sitzschmerzerleichterung Schritt 1: Kissen. Schritt 2: Rückenlehnen. Schritt 3: Meditieren auf einem Stuhl.
- Das Areal ist streng nach Geschlecht getrennt. Danie wohnt in Block C, Ralf in Block Q.
- Danie in ihrem Zimmer. Die Einzelzimmer sind nicht üblich in Vipassana-Zentren. Luxus pur!
- Unsere tägliche Agenda.
- Hier gab's ausschließlich vegetarisches Essen. Dafür köstlichst.
- Unser Wiedersehen nach 10 Tagen: Voller Liebe.
Rodrick Mackie
September 18, 2024 @ 10:12 am
You’ve written terrific content on this topic, which goes to show how knowledgable you are on this subject. I happen to cover about SEO on my personal blog Article City and would appreciate some feedback. Thank you and keep posting good stuff!
Douglas Kit
September 2, 2024 @ 11:24 am
Nice post! You have written useful and practical information. Take a look at my web blog QU6 I’m sure you’ll find supplementry information about Airport Transfer you can gain new insights from.
Seoranko
July 23, 2024 @ 7:09 am
For anyone who hopes to find valuable information on that topic, right here is the perfect blog I would highly recommend. Feel free to visit my site Seoranko for additional resources about Web Design.
Felix Meyer
July 10, 2024 @ 8:24 am
You made some really good points on your post. Definitely worth bookmarking for revisiting. Also, visit my website Webemail24 for content about Self-Storage Units.
Peter
September 20, 2019 @ 1:54 am
“Equannimittty” 🙂 Congrats and Greetings!!!
Bruno
March 29, 2019 @ 5:55 pm
Sehr interessante Eindrücke in eine neue Welt…………
….. dann jetzt mal wieder rein ins aktive Erleben!
Viel Spaß weiterhin!
Bruno
RnD
April 5, 2019 @ 2:39 pm
Wird gemacht, Bruno! Darüber lässt es sich auch wieder einfacher schreiben! Liebe Grüße ins schön Basel!